Transkulturelle Medienästhetik
DGAE–Plattform#2:
Transkulturelle Medienästhetik//
Transcultural Media Aesthetics [Scroll down to English version]
22.-24. Juni 2023
Leuphana Universität Lüneburg
Organisation
Emmanuel Alloa (Université Fribourg, DGAE), Elke Bippus (Zurich University of the Arts), Christoph Brunner (Erasmus University Rotterdam), Steffi Hobuß (Leuphana Universität Lüneburg)
Konzept
Transkulturalität als Begriff und Programm hat sich im Schatten post- und dekolonialer Diskurse und Debatten in den Geistes- und Sozialwissenschaften seit den 1990er Jahren herausgebildet. Jenseits einer klassischen Fassung von Interkulturalität, die eine Differenz von Kulturen apriorisch annimmt, geht Transkulturalität von Verflechtungen, Überlappungen und ihren „transgressiven Potenzialen“ aus. Transgression bezieht sich hier auf zu hinterfragende Bindungen, wie Nationalität oder Zugehörigkeit zu sozialen Kategorisierungen (z.B. Klasse oder Geschlecht), und affirmiert ein offenes sowie prozesshaftes Verständnis kultureller Produktion. Während sich Transkulturalität inzwischen als anerkanntes Paradigma etabliert hat, fällt auf, dass mediale und ästhetische Gesichtspunkte dabei stets randständig blieben. Geradezu umgekehrt verhält es sich im Kontext der Forschung zu Medienästhetik, wo transkulturelle Gesichtspunkte bislang kaum eine Rolle spielten. Die Tagung setzt sich zum Ziel, zwei bislang eher unverbunden nebeneinander bestehende Debatten miteinander zu verzahnen. Auch in medienästhetischen Auseinandersetzungen hat sich die Diskussion von der Annahme, dass sich jedes einzelne künstlerische Medium durch eine substanzielle Medienspezifik definiert, hin verlagert zur Beschreibung vielfältiger Verflechtungen, Crossovers und transmedialer Durchmischungen. Was bleibt ist nach wie vor die Frage, welche Rolle materielle Qualitäten bei Formbildungsprozessen spielen und inwiefern die jeweiligen Erscheinungskontexte die Zirkulation von Zeichen maßgeblich verändern. Lassen sich medienästhetische Einsichten für die Debatte um Transkulturalität fruchtbar machen und ließe sich umgekehrt die oft ortsungebundene Reflexion über Medienästhetik einer Transkulturalisierung unterziehen? Repräsentation und Wiedergabe, Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, Physis und Techne, Produktion und Rezeption gilt es dabei in einem neuen Verhältnis zu denken.
Es gilt, zu klären, wie sich eine transkulturelle Medienästhetik entwickeln ließe, die folgende Problematisierungslinien identifiziert:
1) Welche Rolle spielt Darstellung bzw. Repräsentation durch Begriffe, Artefakte und Handlungen für ein transgressives Verständnis von Transkulturalität?
2) Welche Wahrnehmungsweisen und Sinnzusammenhänge entstehen auf Basis transkultureller Praktiken?
3) Birgt Ästhetik ein universalistisches Versprechen als Möglichkeit transkultureller Praxis oder verdeckt sie hierdurch die Relevanz von Differenzen?
4) Transformieren transkulturelle Praktiken das Grundverständnis ästhetischer Kategorien und Begriffe, wie Kultur, Subjekt, Wahrnehmung und Kunst? Ermöglichen sie ein kritisches Verhältnis zu hegemonialen Selbstverständnissen von Theorie und insbesondere Philosophien der Europäischen Tradition?
Mit dem Fokus auf kritische Begriffe, Praktiken und Medien möchte die Veranstaltung auf philosophischer Ebene transkulturelle Perspektiven auf Ästhetik eröffnen. Hierdurch sollen nicht nur als kanonisch erachtete Wissensformen und Kategorien kritisch befragt werden, sondern auch Ästhetik selbst in ihrer genealogischen Situiertheit als kritische Praxis und immanente Kritik einer epistemischen Setzung Beachtung finden. Verweilt ein dialogischer Ansatz interkultureller Philosophie zumeist im Vergleich unterschiedlicher Verständnisse von Ästhetik entlang von kulturellen Differenzen geographischer und/oder ethnischer Provenienz, so schließt ein transkultureller Ansatz Nachbarschaftlichkeiten, Nähen und Überlappungen (mikro-)kultureller Praktiken vor dem Hintergrund global und medial vernetzten Wahrnehmungsdispositive ein. Ein solcher Ansatz erfordert es, Begriffe als beweglich und im Feld dieser Praktiken zu verorten, und diese Praktiken immer schon in medialen materiellen Ausdrucksweisen eingebettet zu betrachten.
Die Vorträge finden entweder auf Deutsch (D) oder Englisch (E) statt.
Donnerstag, 22. Juni 2023
Zentralgebäude (C40.704)
13:30 – 14:00
Grußworte von Sascha Spoun (Präsident Leuphana) und
Emmanuel Alloa (Präsident Deutsche Gesellschaft für Ästhetik) (E)
Einleitung von Christoph Brunner (E)
14:00 – 17:00
Ästhetische Dezentrierungen: Begriffe als kritische Medien
Monique Roelofs (University of Amsterdam): Ästhetische Transkulturation und die Imagination eines öffentlichen „Wir“ (E)
Lisa Stuckey (Universität für angewandte Kunst Wien): Transformation durch Normativität. Menschenrechte als transkulturelles ästhetisches Medium der globalen zeitgenössischen Kunst und umgekehrt (E)
Till Julian Huss (University of Europe for Applied Sciences, Potsdam): Aneignung als Paradigma und Strategie einer transkulturellen ästhetischen Praxis (E)
Michaela Ott (HFBK Hamburg): Die Dekonstruktion der westlichen Ästhetik durch das Konzept der (Dis-In)dividuation (E)
Moderation: Christoph Brunner
18:00 – 19:00
Abendprogramm (Kunstraum)
knowbotiq – Yvonne Wilhelm & Christian Huebler (Zurich University of the Arts): UNTOOLING.io (D)
Moderation: Elke Bippus
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Freitag, 23. Juni 2023
Zentralgebäude (C40.704)
09:30 – 12:30
Mediengeschichten der Künste: Erweiterung des Kanons?
Maren Haffke (Leuphana Universität Lüneburg): Materialistische Medienästhetik und transkulturelle Remappings in den Sound Studies (D)
Matthias Wittmann (Universität Mainz): Ästhetik der Mégotage – Filmische Praktiken der Kreolisierung (D)
Birgit Eusterschulte (Freie Universität Berlin): Bildern widersprechen. Künstlerische Verfahren der Gegenrede (D)
Alexa Lucke (Universität Siegen): Algorithmizität der Künste durch KI: Produktionen des ‚Unerhörten‘ (Goethe) oder Re-Produktionen des Kanons? (D)
Moderation: Elke Bippus
14:00 – 17:00
Wiedergaben: Politiken zwischen Repräsentation und Nicht-Repräsentation
Fogha Mc C. Refem (Universität Potsdam): Schönheit und andere Verbrechen der Übersetzung: Über die Politik der [Nicht-]Repräsentation (E)
Christiane Heibach (Universität Regensburg): Kunst und Engagement: Krisen als Motor einer transkulturellen Ästhetik? (E)
Brigitta Kuster (Humboldt Universität zu Berlin): Differentiationen. Anmerkungen zum Entkommen und Verblassen (multilingual)
Kianush Ruf (Europa-Universität Viadrina Frankfurt/Oder): Die Aufgabe der Wiedergabe. Subalternisierung und Desubalternisierung im planetarischen ästhetischen Dispositiv (D)
Moderation: Steffi Hobuß
17:30 – 19:30
Podiumsdiskussion: Wie universalistisch war die Ästhetik? Wie universalistisch sollte sie sein? (D)
Iris Därmann (Humboldt Universität zu Berlin), Juliane Rebentisch (Hochschule für Gestaltung Offenbach), Astrid Deuber-Mankowsky (Ruhr-Universität Bochum), Rolf Elberfeld (Universität Hildesheim)
Moderation: Emmanuel Alloa
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Samstag, 24. Juni 2023
Zentralgebäude (C40.704)
09:30 – 12:30
Transkulturelle Ästhetik unter veränderten medialen Bedingungen
Mieke Bal (University of Amsterdam): Cultural and Medial Encounters (E)
Dork Zabunyan (Université Paris VIII – Vincennes – Saint Denis): Dekonstruktion der visuellen Kultur von Aufständen: die syrische Revolution, das digitale Zeitalter und das Werden des Films (E)
Katrin Köppert (Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig): Sand und Holz. Technopoethik der DeKolonialität (D)
Sebastian Köthe (Zürcher Hochschule der Künste): Infiltration und Flucht: Videospiele auf (und in) Guantánamo Bay (E)
Moderation: Emmanuel Alloa
12:30 Abschluss
Deutsche Gesellschaft für Ästhetik
Plattform#2
Transcultural Media Aesthetics
Conveners: Emmanuel Alloa (Université Fribourg, DGAE), Elke Bippus (Zurich University of the Arts), Christoph Brunner (Erasmus University Rotterdam), Steffi Hobuß (Leuphana Universität Lüneburg
Transculturality as a concept and program has emerged in the shadow of post- and decolonial discourses and debates in the humanities and social sciences since the 1990s. Beyond a more classical notion of interculturality that assumes a difference of cultures a priori, transculturality draws on interconnections, overlaps, and their „transgressive potentials.“ Transgression here refers to questionable ties, such as nationality or allegiances, to social categorizations (e.g. class or gender), and affirms an overt as well as processual understanding of cultural production. Whereas transculturality has established itself as a recognized paradigm by now, it is striking that medial and aesthetic aspects have always remained marginal. The opposite is true in the context of media-aesthetic research, where transcultural aspects have hitherto scarcely played a role. This conference aims to bring together two debates which have previously been disconnected from each other. Even in the field of media aesthetics, the discussion has shifted from the assumption that each individual artistic medium is defined by a substantial media specificity to the description of manifold interconnections, cross-overs and transmedial intermixings. However, what remains is the question of what role material qualities play in the processes of shaping forms, and to what extent the respective contexts of their appearance substantially change the circulation of signs. Can media-aesthetic insights be made fruitful for the debate on transculturality and, conversely, could the often spatially unbound reflection on media aesthetics be subjected to transculturation? Representation and reproduction, visibility and invisibility, physis and techné, production and reception must be envisioned in a new relationship.
It is imperative to clarify how a transcultural media aesthetics could be developed that identifies the following strands of problematization:
- 1) What is the role of depiction or representation through concepts, artifacts and actions for a transgressive understanding of transculturality?
2) What modes of perception and contexts of meaning emerge on the basis of transcultural practices?
3) Does aesthetics bear a universalistic promise as a possibility of transcultural practice or does it thereby obscure the relevance of differences?
4) Do transcultural practices transform the fundamental understanding of aesthetic categories and concepts, such as culture, subject, perception and art? Do they enable a critical relation to hegemonic self-understandings of theory and especially philosophies of the European tradition?
Focusing on critical concepts, practices and media, this event aims to open up transcultural perspectives on aesthetics from a philosophical viewpoint. Through this, not only forms of knowledge and categories considered canonical will be critically investigated, but also aesthetics itself in its genealogical situatedness as critical practice and immanent critique of an epistemic disposition. Whereas a dialogical approach to intercultural philosophy mostly dwells on the comparison of different understandings of aesthetics along cultural differences of geographical and/or ethnic provenance, a transcultural approach includes adjacencies, proximities, and overlaps of (micro-)cultural practices against the backdrop of globally and medially interconnected perceptual dispositives. Such an approach requires us to view terminologies as mobile and situated in the field of these practices, and to consider these practices as always and already embedded in medial material modes of expression.
The talks will be given either in English (E) or in German (G).
THURSDAY, June 22, 2023
Central Building (C40.704)
1:30 – 2:00 p.m.
Welcome Greetings by Sascha Spoun (President Leuphana) and
Emmanuel Alloa (President Deutsche Gesellschaft für Ästhetik)
Introduction by Christoph Brunner
2:00 – 5:00 p.m.
Aesthetic Decenterings: Terminologies as Critical Media
Monique Roelofs (University of Amsterdam) Aesthetic Transculturation and the Imagination of a Public “We” (E)
Lisa Stuckey (University of Applied Arts Vienna) Transformation Through Normativity: Human Rights as Transcultural Aesthetic Medium of Global Contemporary Arts and Vice Versa (E)
Till Julian Huss (University of Europe for Applied Sciences, Potsdam) Appropriation as Paradigm and Strategy of Transcultural Aesthetic Practice (E)
Michaela Ott (HFBK Hamburg) Deconstructing Western Aesthetics Via the Concept of (Dis-in)dividuation (E)
Chair: Christoph Brunner
6:00 – 7:00 p.m.
Evening program (Kunstraum)
knowbotiq – Yvonne Wilhelm & Christian Huebler (Zurich University of the Arts) UNTOOLING.io (G)
Chair: Elke Bippus
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FRIDAY, 23 June, 2023
Central Building (C40.704)
9:30 a.m. – 12:30 p.m.
Media Histories of the Arts: Expanding the Canon?
Maren Haffke (Leuphana University Lüneburg) Materialist Media Aesthetics and Transcultural Re-mappings in Sound Studies (G)
Matthias Wittmann (University of Mainz)
Aesthetics of the Mégotage – Filmic Practices of Creolization (G)
Birgit Eusterschulte (Free University Berlin)
Contradicting Images. Artistic Procedures of Counter-speech (G)
Alexa Lucke (University of Siegen)
Algorithmicity of the Arts Through AI: Productions of the ‚Unheard‘ (Goethe) or Re-productions of the Canon? (G)
Chair: Elke Bippus
2:00 – 5:00 p.m.
Renditions: Politics Between Representation and Non-Representation
Fogha Mc C. Refem (University of Potsdam)
Beauty and Other Crimes of Translation: On the Politics of [Non]Representation (E)
Christiane Heibach (University of Regensburg)
Art and Engagement: Crises as the Engine of a Transcultural Aesthetic? (E)
Brigitta Kuster (Humboldt University Berlin)
Differentiations. Notes on Escape and Fading (multilingual)
Kianush Ruf (European University Viadrina Frankfurt/Oder)
The Task of Rendition. Subalternization and Desubalternization in the Planetary Aesthetic Dispositif (G)
Chair: Steffi Hobuß
5:30 – 7:30 p.m.
Panel Discussion [In German]: How Universalist were and are Aesthetics? How Universalist Should they be?
Iris Därmann (Humboldt University Berlin), Juliane Rebentisch (University of Art and Design Offenbach am Main), Astrid Deuber-Mankowsky (Ruhr-University Bochum), Rolf Elberfeld (University of Hildesheim)
Chair: Emmanuel Alloa
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SATURDAY, June 24, 2023
Central Building (C40.704)
9:30 a.m. – 12:30 p.m.
Transcultural Aesthetics in a Changed Media Environment
Mieke Bal (University of Amsterdam)
Cultural and Medial Encounters (E)
Dork Zabunyan (University of Paris VIII – Vincennes – Saint Denis)
Deconstructing the Visual Culture of Uprisings: The Syrian Revolution, the Digital Era and the Be-coming of Film (E)
Katrin Köppert (Academy of Fine Arts Leipzig)
Sand and Wood. Technopoethics of DeColoniality (G)
Sebastian Köthe (Zurich University of the Arts)
Infiltration and Escape: Video Games on (and in) Guantánamo Bay (E)
Chair: Emmanuel Alloa
12:30 End
Contact: dgaetran@nullleuphana.de